Paul Müller
Paul Müller
Zur Landschaftsmalerei von Max
Burgmeier
Das 1905 datierte Selbstportrait
vor Juralandschaft (Taf. 1) zeigt den 24-jährigen
Maler Max Burgmeier, wie er, den Kopf aus dem Profil gedreht, sich dem
Betrachter mit ruhigem, festen Blick zuwendet. Schwarze Jacke mit Schlips, weisser Hemdkragen und breitkrempiger Hut verleihen dem
Porträt Würde; diese billigt sich der Dargestellte zu, nachdem er seine
Lehrzeit abgeschlossen hat und als Mitbegründer der Aargauer Sektion der GSMBA
sich nun zum Berufsstand der Künstler zählen darf. Im Hintergrund ziehen sich
Wiesen und Wälder der Jurakette bis ins obere Bilddrittel, wo Kumulus- und
Stratuswolken ein dekoratives Muster in den Himmelsstreifen zeichnen. Das
Porträt ist ein eigentliches Programmbild, mit dem der Maler sein beliebtestes
Thema, die Juralandschaft, vorstellt.
Der im Aargau
nicht unbekannte Maler, der uns hier so selbstbewusst entgegentritt, hat weder
in der damaligen Kritik noch in neueren Publikationen zur Schweizer Kunst ein
laut vernehmbares Echo ausgelöst. Dies, obwohl er sich seit 1904 an sämtlichen
Nationalen Kunstausstellungen und Turnus-Ausstellungen beteiligte, 1913–1943
Präsident der Aargauer Sektion der GSMBA und in den 20er-Jahren gar
Vizepräsident der GSMBA Schweiz war. Nimmt man die Anzahl der Reproduktionen
und Besprechungen in der Zeitschrift „Die Schweiz” zum Gradmesser für den
Erfolg eines Künstlers, so war Burgmeier nur äusserst
geringe Resonanz beschieden. Die Gründe hierfür liegen zum einen darin, dass Aarau erst spät den Anschluss an die überregionale
Kunstszene fand, zum andern wohl auch im zurückhaltenden Wesen von Burgmeiers
Persönlichkeit.
Um die
Jahrhundertwende folgte ein junger Maler bei der Wahl seines ersten
Ausbildungsorts meist dem Rat eines anerkannten Künstlers: Im Falle Max
Burgmeiers war es der seit 1868 in München wirkende Landschaftsmaler Adolf Stäbli, der 1899 anlässlich seiner letzten Reise in die
Schweiz das Talent des 18-jährigen erkannte und ein Studium in München empfahl.
Abb. 1
Bäume im Gewitter. 1912
WK-Nr. 59
Abb. 2
Baum im Sturm, um 1900
Aargauer Kunsthaus,
Aarau (GKS)
Abb. 3
Hermann Gattiker (1865 - 1950)
Mürtschen, 1922
Eine späte
Referenz an seinen Mentor ist das 1912 datierte Gemälde Bäume im Gewitter (Abb. 1), bei dem jedoch das Atmosphärische des
Vorbilds (Abb. 2)1 zugunsten einer formalen Verfestigung in den
Hintergrund rückt. Von 1900 bis 1902 studierte Burgmeier an der
Kunstgewerbeschule München unter Maximilian Dasio
(1865–1954), Theo Schmutz-Baudiss (1859–1942) und
Bruno Paul (1874–1968).
Diese Lehrer – Dasio war bekannt durch seine Druckgraphik, Schmutz-Baudiss durch seine Keramikentwürfe, Paul durch seine
Möbelentwürfe sowie Plakate und Zeichnungen für die „Jugend” und den „Simplizissimus” – vermittelten Burgmeier die Formensprache
des Jugendstils, der für sein Schaffen vor 1920 prägend blieb.
1902 lernte
Burgmeier durch den Stäbli-Schüler Fritz Widmann
(1869–1937) Hermann Gattiker (1865–1950) kennen, um
den sich in Rüschlikon ein Kreis Gleichgesinnter –
neben Widmann Hans Sturzenegger (1875–1943), Hans
Brühlmann (1878–1911), Gustav Gamper (1873–1948), Jakob Wyss (1876–1936) und
andere – gebildet hatte. Mit ihren klaren, von grosszügig
geschwungenen Linienzügen bestimmten und meist mit hohem Horizont
abgeschlossenen Kompositionen sind die um die Jahrhundertwende entstandenen
Schwarzwaldlandschaften2 von Hans Sturzenegger
den Juraansichten Burgmeiers verwandt. Ist diese Bildarchitektur im Frühwerk Sturzeneggers direkt seinem Lehrer Hans Thoma (1839–1924) verpflichtet, so mag das Vorbild
des grossen deutschen Realisten bei Burgmeier durch
den Kontakt mit Sturzenegger wirksam geworden sein.
Jedenfalls war Thoma für viele Schweizer Maler, die dem französischen Impressionismus
mit seinen formauflösenden Tendenzen eher skeptisch gegenüberstanden, so etwas
wie eine Vaterfigur. Burgmeiers Blick ins
weite Land von 1908 (Taf. 18) teilt
mit manchen Schwarzwaldansichten Thomas –
mit sprechenden Bildtiteln wie Friedliches Tal, Morgentau, Mein Heimattal oder
Sommerglück – dasselbe
heiter-beglückte Naturgefühl.3 Auch in ihrer Sensibilität für das
Zusammenklingen verhaltener Farbtöne stehen sich Burgmeier und Sturzenegger nahe. Bei Hermann Gattiker
dagegen, einem hervorragenden Zeichner und Radierer, konnte sich Burgmeier
Sicherheit im zeichnerischen Detail sowie ein Gespür für dekorative Bildwirkung
mittels Linie und Fläche erwerben. Wie verwandt die beiden Maler in der künstlerischen
Grundhaltung sind, wird im Vergleich einer Berglandschaft Gattikers
(Abb. 3) und einer von Burgmeier
gemalten Juralandschaft (Taf. 5) deutlich.
Nach seinem
Aufenthalt in Rüschlikon setzte Burgmeier Ende 1902 seine Studien in Paris im Atelier von
Eugene Grasset (1841–1917) fort.
Obwohl durch die Auseinandersetzung mit dem Art Nouveau erneut Jugendstilelemente
in seine Gemälde einflossen, sind Burgmeiers Landschaften im Unterschied etwa
zu denen Augusto Giacomettis nie auf ihre dekorative Qualität reduziert. Stets
orientiert sich das Kolorit an der realen Lokalfarbe, die Form an der realen
Kontur des Gegenstands.
Ein Beispiel ist
das 1904 datierte Gemälde Hallwilersee mit Seengen
(Taf. 10): Auf einer leichten Anhöhe über
dem nördlichen Ende des Hallwilersees, die den Blick
auf das Dorf Seengen und den Lindenberg freigibt, hat
der Maler seine Staffelei aufgestellt. Der hohe Horizont gibt ihm Gelegenheit,
fast die gesamte Bildfläche mit der Formenvielfalt der Landschaft zu
überziehen. Der Gegensatz zwischen der grossflächig
gestalteten unteren Bildhälfte mit dem Wasserspiegel und dem Marschland – vor dem eine kompakte Baumgruppe,
begleitet von einer einsamen Pappel, einen markanten Akzent setzt – und der Kleinteiligkeit der oberen
Bildhälfte verleiht dem Gemälde seinen besonderen Reiz. Klar umrissene Wälder,
Bäume und Felder zeichnen ein lebendiges Muster auf dem Hügelzug. Die Farbskala
der Vegetation wechselt von dunklem Braungrün über Ocker zu Hellgrün, bleibt
aber stets verhalten. Auch der Komplementärkontrast der mosaikartig
angeordneten Dächer und Bäume wirkt nicht laut. Die sensible Farbwahl und
-abstimmung bleiben ein besonderes Charakteristikum der Kunst Burgmeiers, auch
in den späteren Werken, in denen die Lokalfarben sich mehr und mehr vom
Gegenstand lösen.
Aus dem Jahre 1904 datiert ein Hauptwerk Burgmeiers, Die Ramsfluh (Einband). Das grossformatige
Gemälde steht am Anfang der Reihe von Landschaftsbildern, mit denen der Maler
den charakteristischen Gebirgs- und Hügelzügen des aargauischen Kettenjuras
künstlerische Gestalt verlieh und die ihm, in Anspielung auf den Porträtisten
des Berner Juras, Albert Schnyder, den Ruf eines
aargauischen Juramalers einbringen sollten. Bildbeherrschend baut sich das
bewaldete Massiv vor den Augen des Betrachters auf. Der Dreiecksform der Ramsfluh, die mit ihrer Spitze die vertikale Bildachse
markiert, antwortet unten eine schalenförmig geschwungene Senke. Um das kompositorische
Gleichgewicht zu erhalten, hat der Künstler leichte Abweichungen von der
symmetrischen Form des Berges durch unterschiedliche Wolkenformationen links
und rechts ausgeglichen. Das Zusammenwirken von Symmetrie und einfachen grossen Formen stabilisiert die Komposition; das dynamische
Aufwärtsdrängen der Bergspitze wird durch die gegenläufige Bewegung des Wiesenkonturs
ausgebremst. Dieses Kompositionsschema hat Burgmeier in den Gebirgs- wie in den
Hügellandschaften wiederholt angewendet (Taf. 3, 8 oben und unten, 13 unten, 17). In der Ramsfluh
sind die Merkmale des Jugendstils überdeutlich: Alles ist in die Fläche
gebunden, das Atmosphärische fehlt, selbst in den Wolken, die als kompakte,
dekorative Formen vor den blauen Himmel gesetzt sind. Die an Textilkunst
gemahnende, aus Laubbäumen mit Einsprengseln von Tannen und Felsbändern
gewirkte Oberfläche des Bergmassivs kontrastiert mit der Gleichförmigkeit der
Wiese.
Abb. 4
Max Buri (1868 - 1915)
Lauterbrunnental mit Jungfrau,
um 1905
Kunstmuseum Bern
Symmetrien
bestimmen auch das zwei Jahre später entstandene Gemälde Blick von Interlaken gegen die Jungfrau (Taf. 2). Die Hänge des Lauterbrunnentals sparen ein
in der Mittelachse zusammenlaufendes Dreieck aus, in dem sich als Gegenbewegung
vor strahlend blauem Himmel das Massiv der Jungfrau aufbaut. Tiefenwirkung
erhält das Bild allein durch die Farbperspektive. Räumlichkeit schaffende
zentralperspektivische Mittel kommen nicht zur Anwendung, im Gegenteil: Die
bildparallel aufgereihten Bäume über dem Wiesenstreifen im Vordergrund
versperren mit ihren dicht aneinandergereihten Kronen und den Stämmen, an
denen sich die übrige Komposition wie an einem Metermass zu messen hat, die
Talsohle. Das Gemälde zeigt auffällige Verwandtschaft mit einem um dieselbe
Zeit entstandenen Werk von Max Buri (1868–1915). Dessen Lauterbrunnental mit Jungfrau (Abb. 4) orientiert seine symmetrische Bildgeometrie ebenfalls an den
topographischen Gegebenheiten, doch wird hier das starre Gefüge durch die asymmetrisch
platzierte Alphütte aufgelockert. Burgmeiers Baumreihe entspricht hier dem
Zaun, der aber durch den in die Tiefe führenden Weg unterbrochen wird. Bei Buri wirkt der Vordergrund konventioneller, während das
Bergmassiv stärker monumentalisiert ist. Burgmeiers frühe Arbeiten folgen
denselben Stilprinzipien, die der um 13 Jahre
Ältere seit seiner Abkehr von der Tonmalerei nach 1903 anwandte: Klare, von markanten Linien und Flächen bestimmte
Komposition; Verfestigung des Gegenständlichen durch einfache,
zusammenfassende Umrisse. Dagegen trennt die Farbpalette die beiden Künstler:
Die intensiveren Farbkontraste der Gemälde Buris
weisen ihren Schöpfer als im Sinne der Moderne fortschrittlicheren Maler aus,
der den beiden gleichaltrigen grossen Koloristen der
Schweizer Moderne, Cuno Amiet und Giovanni
Giacometti, verpflichtet ist.
Sowohl Buris wie Burgmeiers Ansicht der Jungfrau sind ohne die
durch Ferdinand Hodlers vollzogene Erneuerung der Alpenmalerei nicht denkbar. 1897 formulierte Hodler in einem Vortrag die
Aufgabe des Künstlers im Aufspüren und Darstellen des Gesetzmässigen
in der Natur: „Die Mission [...] des Künstlers ist: das ewige Element der Natur
auszudrücken – die Schönheit, aus ihr
die wesentliche Schönheit hervorzubringen [...] – er [der Künstler] zeigt uns eine gesteigerte – vereinfachte Natur, die von allen
unbedeutenden Details befreit ist.”4 Ein Formprinzip glaubte Hodler
im „Parallelismus” gefunden zu haben, in der symmetrischen Spiegelung oder
Reihung von Gleichartigem.5 Burgmeiers Blick von Interlaken auf
die Jungfrau vereint beide Symmetriearten, doch fehlt ihm sowohl Hodlers
majestätische Überhöhung der Bergwelt wie auch dessen symbolhafte
Mystifizierung. Er komponiert zwar mit augenfälligen Symmetrien, treibt indes
die Stilisierung im Detail nicht so weit: Ihm ist das getreue
Landschaftsporträt ein wichtigeres Anliegen als die Erfassung der in der Natur
verborgenen Ordnungsgesetze. Die Kombination von gross
gesehener Gesamtform und kleinlicher Detailtreue birgt allerdings die Gefahr in
sich, dass das Gemälde an formaler Dichte verliert. Zeigt die Jungfrauansicht
in diesem Sinne eine gewisse Unentschiedenheit, so überzeugt Burgmeier dort,
wo der dekorativ-stilisierte Bildaufbau seine Entsprechung in den Detailformen
findet, so in der erwähnten Ramsfluh oder
dem Val Nalps mit Piz Rondadura
im Winter (Taf. 3).
Mit der Gefahr,
bei allzu direkter Referenz an den grossen Erneuerer
der Alpenmalerei in die Trivialität abzugleiten, hatten auch die eigenständigen
Generationsgenossen Burgmeiers zu kämpfen. Hodler konnte man als
Landschaftsmaler um 1910 nicht
ignorieren. Es fällt auf, wie ähnlich sich die Bergansichten damals waren,
sowohl von den Künstlern, die sich direkt auf Hodler beriefen, wie auch von den
Malern, die nicht in seiner Nachfolge standen. Die meisten Künstler, die
zumindest im ersten Jahrzehnt noch im Banne Hodlers standen, gehörten zur so
genannten „Berner Malschule”. Dieser unglückliche, aber aus der Befangenheit
der zeitlichen Nähe zu verstehende Begriff geht auf den Berner Kritiker Hans
Bloesch6 zurück, der folgende Maler zur Berner Gruppe zählt: Cuno Amiet (1868–1961), Louis
Moilliet (1880–1962),
Max Buri (1868–1915),
Klara Borter (1888–1948),
Max Brack (1878–1950), Eduard
Boss (1873–1958), Emil Cardinaux (1877–1936), Ernst
Linck (1874–1935) und
Werner Feuz (1882–1956).
Die Begeisterung, mit der Bloesch 1911 gar von einer Renaissance der Berner
Malerei schwärmte, wirkt heute befremdlich. Doch zwei Jahre später sprach auch
Hans Graber von der Berner Gruppe und fügte ihr die
heute fast vergessenen Namen Plinio Colombi (1873–1951), Emil Prochaska (1874–1948), Traugott Senn (1877–1955) und Ernst Geiger (1876–1965) hinzu.7 Auch Wilhelm
Schäfer, der Herausgeber der Zeitschrift „Die Rheinlande”, ortete eine
„bernische Schule”, zu deren weiterem Wirkungskreis er den Zürcher Sigismund Righini (1870–1937), den
Luzerner Hans Emmenegger (1866–1939) und den Aargauer Max Burgmeier zählte.8
Abb. 5
Hans Emmenegger (1866 - 1940)
Letzte Strahlen der Abendsonne
auf dem Sustenspitz, nicht datiert
Abb. 6
Roccabella bei Bivio. 1919
WK-Nr. 154
Abb. 7
Max Brack (1878 - 1950)
Niesengipfel, vor 1918
Abb. 8
Plinio Colombi (1873 - 1951)
Der Berg, 1907
Abb. 9
Plinio Colombi (1873 - 1951)
Der Fluss, vor 1909
Zwei Landschaften
der beiden letztgenannten Maler sind in dem von Wilhelm Schäfer herausgegebenen
Band „Bildhauer und Maler in den Ländern am Rhein”9 in Abbildungen
einander gegenübergestellt. Das Landschaftswerk von Emmenegger
und Burgmeier weist beim ersten Hinsehen tatsächlich einige Gemeinsamkeiten
auf. Strenge Symmetrie und Isolierung des Hauptmotivs, vom Jugendstil
beeinflusste Flächengliederung und weich fliessende,
betonte Konturen sind Merkmale, welche etwa die Ramsfluh
(Einband) oder die Bergkuppe Roccabella (Abb. 6) mit Emmeneggers Hügel im Herbst10 bzw. mit dessen Gemälde Letzte
Strahlen der Abendsonne auf dem Sustenspitz (Abb.
5)11 teilt. Doch
erzeugt Emmenegger mit den Schlagschatten der
untergehenden Sonne am Sustenhorn einen beklemmenden
surrealen Effekt, während Burgmeier am Roccabella
zugunsten einer naturalistischen Ausleuchtung auf dramatische Lichtführung
verzichtet.
Bei allen formalen
Analogien ist die Naturauffassung der beiden Maler grundverschieden: Projiziert
der Spätromantiker Emmenegger seinen Weltschmerz in
die einsame, verlassene Landschaft, die auf diese Weise zum Stimmungsträger
wird, so begegnet der Realist Burgmeier der Natur mit nüchternem Blick, der die
alltäglichen Reize eines Landschaftsausschnitts in künstlerische Gestalt
zwingt.
Die realistische
Grundhaltung teilt Burgmeier mit den meisten Vertretern der Berner Maler, die
in der direkten Nachfolge Hodlers stehen. Im Winter 1906/07 malen Eduard Boss, Max Brack, Plinio Colombi und Emil Cardinaux
zusammen auf dem Jaunpass. Die Werke dieser Maler,
die später eigene künstlerische Wege gehen, weisen auffallende stilistische
Parallelen zu den frühen Berglandschaften Max Burgmeiers auf. Dies mögen einige
Beispiele belegen: Reduzierte zentralperspektive
Räumlichkeit zugunsten flächig-dekorativer Werte, klarer gegen den planen, wolkenlosen
Himmel gesetzter Umriss sowie diffuse Lichtführung sind Merkmale, die sowohl
auf Max Bracks Niesengipfel (vor 1918) (Abb. 7)12 wie auf die bereits genannte Ansicht des Roccabella (Abb. 6) zutreffen. Der schalenförmigen Senke, welche der Kuppe
des Niesen in Gegenrichtung antwortet und dadurch die Komposition
ausbalanciert, entspricht beim Roccabella die
vom Hang links vorne und von der dunklen Formation rechts im Mittelgrund
gebildeten Kompositionslinie.
Die ausgewogene
Tektonik der Berglandschaften Burgmeiers findet sich auch bei Plinio Colombi (Abb. 8)13. Zum
Verwechseln ähnlich sind ihre Schneelandschaften. Das Winterbild war eine
beliebte Gattung des Jugendstils, da die natürlichen Helldunkelkontraste und
die zusammenfassenden Formen dem künstlerischen Streben nach dekorativer
Wirkung entgegenkamen. Das 1916 datierte
Gemälde Val Nalps mit Piz Rondadura
im Winter (Taf. 3) gewinnt seinen Reiz zum
einen aus dem Kontrast zwischen der grossen weissen Fläche und dem schmalen, farblich dominanten Himmelstreifen,
zum andern durch die feinen, in der Mitte zusammenlaufenden Konturlinien der
Schneekuppen. Colombis Schneeschmelze14
von 1904 lebt gleichfalls vom
dekorativen Muster, das die Schattenfugen in die weisse
Fläche zeichnen. Im Unterschied zu den Koloristen Amiet
und Giovanni Giacometti setzt Burgmeier die Farbe zurückhaltend ein, was ein
Vergleich mit Giacomettis im gleichen Jahr entstandenen Engadiner Winterlandschaft15
deutlich macht. Beschränkt sich Burgmeier auf ein zurückhaltendes Blau zur
Modellierung der Schneedecke, so leuchtet im Gemälde Giacomettis der ganze
sonnenbeschienene Hang in den Farben Blau, Gelb und Rosa.
Zu den neuen
Motiven, die sich die erwähnten Berner Künstler nach der Jahrhundertwende
erschlossen haben, gehört die Aare. Auch der Aargauer Burgmeier hat seine
Staffelei oft vor seinem Hausfluss aufgestellt. Zum ersten Mal wohl 1907, als er die Aarelandschaft
mit Philosophenweg (Taf. 19) malte. Das in einer reichen Skala von
Grüntönen gemalte Werk ist noch ganz der Formensprache des Jugendstils
verpflichtet. Das ornamentale Eigenleben der Wellen im Vordergrund findet sich
beinahe en detail auf einem Gemälde
von Plinio Colombi wieder (Abb. 9).16
Vier Jahre nach
der Ramsfluh (Einband)
entstand mit der Ansicht der Ramsfluh mit
Egg (Taf. 5) ein weiteres Hauptwerk, das
den Aargauer Jura zum Thema hat. Dem optischen Wechselspiel von geschlossenen
Waldflächen und in freier Ordnung in das helle Wiesengrün gestreuten dunklen
Akzenten einzelner Bäume hat der Maler durch betonte Umrisse und kompakten
Farbauftrag seine adäquate Form gegeben. Die Farben sind fein aufeinander
abgestimmt; selten, so in der blaugrauen Baumgruppe in der unteren Bildmitte,
wagt sich ein Ton etwas aus der Reihe. Ein schmaler, bildparalleler
Wiesenstreifen am unteren Bildrand markiert den abrupten Wechsel vom Vorder- in
den Hintergrund und dient als Bühne, auf der sich die Landschaftskulisse bis
fast an den oberen Bildrand aufrollt. Die symmetrische Kurvatur des
Wiesenstreifens unterstreicht zusätzlich die Künstlichkeit der Inszenierung.
Mit ihrem hohen
Horizont und der reduzierten Räumlichkeit sind Burgmeiers Landschaften nicht
nur seinem Lehrer Hermann Gattiker (Abb. 3)
verpflichtet; dieselben Stilmerkmale kennzeichnen auch in den Jahren 1907–1909 entstandenen Toggenburger
Landschaften17 von Hans Brühlmann (1878–1911), der
ebenfalls ein Schüler Gattikers war.
Zwei typische
Juralandschaften der späten Schaffenszeit verdeutlichen die stilitistische
Entwicklung seit der Jugendstilphase: Das 1929 datierte Gemälde Wasserfluh mit Herzberg und Asperstrihen
(Taf. 17) und die um 1940
entstandene Landschaft Asp mit Chrinnenfluh und Würz (Taf. 13) weisen noch immer eine ausgewogene
Bildarchitektur aus hohem Horizont und sanft geschwungenen Linienzügen auf. Das
schon bei den frühen Landschaften zu beobachtende Kompositionsschema aus nach
oben gewölbter Horizontlinie und nach unten gerichtetem Bogensegment scheint
auf einer Idee Hermann Gattikers zu basieren, der auf
die selbst gestellte Frage „Wie viele Linien gibt es in der Natur?” als Antwort
einen nach oben und einen nach unten gewölbten Bogen auf ein Blatt zu zeichnen
pflegte.18 Dieser kompositionelle Kunstgriff bewirkt eine Harmonisierung
des Bildgefüges und steht im Dienste der Bildaussage. Burgmeiers Landschaften lösen
Gefühle der Vertrautheit, Geborgenheit und Nähe aus – die Assoziation „Heimat”
stellt sich ein. Selbst das Hochgebirge wirkt nie fremd und bedrohlich. Diese
positive Grundhaltung entspricht nicht nur einem Wesenszug Max Burgmeiers,
sondern spiegelt auch die in der Zwischenkriegszeit aufkommende Besinnung auf
nationale Werte wider.
Der wesentliche
Unterschied der seit ca. 1920 entstandenen Landschaften Burgmeiers betrifft die
Farbe. Die kompakten Lokalfarben der Jugendstilphase machen nun einer aufgehellten
Palette Platz, in denen feine Nuancierungen mit stärkeren, vorwiegend auf Rot
und Grün gestimmten Kontrasten abwechseln. Sicher haben die beiden Aufenthalte
in Südfrankreich in den Jahren 1921 und 1925 diese Entwicklung begünstigt,
wovon etwa der Blick von St. Clair
auf Cap Bénat und die Iles d'Hyères Zeugnis ablegt
(Taf. 15 unten): Nie zuvor hat sich Burgmeier
zu einem so intensiven Dreiklang von Rot, Grün und Blau und zu einem so
befreiten Pinselduktus vorgewagt. In der mit stark verdünnter Temperafarbe
gemalten Ortsansicht Massa Lubrense bei Sorrent (Taf. 15 oben), wohl 1937 auf
der Hochzeitsreise nach Süditalien entstanden, treibt der Künstler unter dem
Eindruck des südlichen Lichts die Auflösung der Farbmaterie noch weiter.
Doch Max Burgmeier
ist nicht nur mit seiner Landschaftsmalerei hervorgetreten, sondern hat auch
auf dem Gebiete der Stilleben- und der Porträtmalerei durchaus eigenständige
Werke geschaffen. Ist die Farbskala in den Landschaften durch die natürliche
Dominanz der Grün- und Brauntöne etwas eingeschränkt, so steht Burgmeier in den
Stilleben eine breitere Palette zur Verfügung. Vor
der ruhigen Folie einer Zimmerwand entfaltet sich die bunte Pracht der 1912
entstandenen Sommerblumen in Henkelkrug (Taf.
11, vgl. auch Taf. 32[a,b], 33). Die Art, wie der
Maler mit kraftvoll und sicher gesetzten Pinselstrichen Form und Stofflichkeit
der Blüten einfängt, rückt dieses Werk in die Nähe von gleichzeitigen Stilleben des schon erwähnten Hans Brühlmann.19
Ein Stilleben von 1915 (Taf.
14) bezieht seinen Reiz aus dem Kontrast zwischen den offenen Formen von Krug
und Blumen und der strengen Reihe der Sprossen der Stuhllehne. Wie in den
Landschaften ist Burgmeier auf das Ausbalancieren der Komposition bedacht: Eine
Dreiecksform in der linken unteren Ecke schafft ein Gegengewicht zu den etwas
aus der Mitte gerückten Blumensträussen.
Die Porträtmalerei
ist nicht Burgmeiers stärkste Seite20, doch auch in dieser Gattung
schuf der Künstler einige Werke, die in ihrer schnörkellosen Art überzeugen,
wie etwa die Bildnisse zweier Aargauer Originale, des Hornisten Paul Keller (Taf.
28) und von Gottlieb Wassmer, genannt „Blüemligottlieb” (Taf. 29). Die bildbeherrschende Monumentalität der
Figuren im kargen Interieur bzw. vor unstrukturiertem Grund erinnert an die in
den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts entstandene Reihe von Bildnissen
alter Männer von Ferdinand Hodler. Derselbe Künstler stand auch Pate für eines
der wenigen Werke Burgmeiers, in denen Menschen in der Landschaft erscheinen:
Die rhythmische Symmetrie des Kinderreigens in der Bachfischet (Taf. 20 oben) ist
ohne Hodlers symbolistische Figurenkompositionen nicht denkbar. Der aarauische Brauch der „Bachfischet” ist auch Thema einer 1933 entstandenen
Fassadenmalerei am Haus Metzgergasse 8, die beweist, dass Burgmeier auch der
schwierigen Gattung des Wandbilds gewachsen war.
Die weiter oben
genannten Stilmerkmale (Flächigkeit, betonte, weich fliessende
Konturlinie, hoher Horizont usf.) finden sich bei vielen der um 1870 bis 1885
geborenen Generationsgenossen Max Burgmeiers. Dies trifft auf seine Freunde – Adolf Weibel (geb. 1870), Ernest Bolens (geb. 1881), Otto Ernst (geb. 1884), Otto Wyler
(geb. 1887) – wie auch auf so bekannte
Maler wie Edouard Vallet (geb. 1876) oder Hans Berger
(geb. 1882) zu und zeigt, wie deutlich hier individuelle Talente den Zeitstil
manifestieren. Burgmeiers Kunst schöpft aus zwei verschiedenen Quellen: Zum
einen ist es die süddeutsche Landschaftsmalerei um Hans Thoma, die dem Künstler
über den Gattiker-Kreis vermittelt wurde, zum andern
sind es die Werke der Künstler, die das Erbe Ferdinand Hodlers vertraten. Mit
der überzeugenden Verarbeitung dieser Anregungen leistete Burgmeier einen nicht
zu unterschätzenden Beitrag zur Geschichte der schweizerischen
Landschaftsmalerei.
Anmerkungen
1 Adolf Stäbli. Ein Schweizer Landschaftsmaler in München, Katalog
der Ausstellung im Zimmermannshaus in Brugg, Aarau 1984, Kat.-Nr. 37
2 Vgl. Museum zu
Allerheiligen, Schaffhausen
(Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Kataloge Schweizer
Museen und Sammlungen 13), Kat.-Nr. 81, Abb. S. 151
3 Hans Thoma. Lebensbilder, Katalog
zur Ausstellung im Augustinermuseum Freiburg im Breisgau, Königstein im Taunus
1989, Nr. 92, 111, 119, 120
4 Zitiert nach:
Oskar Bätschmann, Das Landschaftswerk von Ferdinand Hodler, in:
Ferdinand Hodler. Landschaften [Ausstellungskatalog], hrsg. vom Schweizerischen
Institut für Kunstwissenschaft, Zürich 1987, S. 32
5 Sog. bilaterale
(Spiegelung) bzw. translative (Reihung) Symmetrie.
Vgl.: Oskar Bätschmann. Die Symmetrien von Ferdinand Hodler. In:
Symmetrie in Kunst, Natur und Wissenschaft, [Ausstellungskatalog], Bd. 1,
Darmstadt 1986, S. 355–372; vgl. Anm. 4, S. 35
6 Zu Bloesch vgl. Marcel Baumgartner, L’Art
pour l’Aare. Bernische Kunst im 20. Jahrhundert, Bern
1984, S. 108 f. Zur „Berner Schule“ vgl.
Die „Berner Schule“. Eine Privatsammlung, hrsg. von Hans Maurer, Text
Regula Bolleter, Bern: Benteli 2008
7 Hans Graber, Schweizer
Maler, Königstein im Taunus und Leipzig 1913, S. VII
8 wie Anm. 6, S.
111
9 Wilhelm Schäfer
(Hrsg.), Bildhauer und Maler in den Ländern am Rhein, (mit einem Beitrag „Die Schweiz” von C. A. Loosli), Düsseldorf 1913, S. 4, 5.
Die Reproduktion eines Werks von Max Burgmeier, eine Seltenheit im zeitgenössichen Schrifttum, hat wohl Schäfer veranlasst; Loosli erwähnt im Text den Künstler mit keinem Wort.
10 „Herrlich öde, einsame
Gegend”. Hans Emmenegger – ein
Maler zwischen Böcklin und Hodler, hrsg. von Franz
Zelger, Ausstellungskatalog Kunstmuseum Luzern 1988,
Kat.-Nr. 26
11 wie Anm. 10,
Kat.-Nr. 29
12 Das Werk, 1918, H. 9, Abb. S. 136
13 Rudolf Klein, Ferdinand
Hodler und die Schweizer, Berlin o. J., Abb. S. 35
14 Kunstmuseum Bern,
Inv. 122 (auch „Winterstimmung”)
15 Schweizer Maler
aus der Sammlung Bührle, Katalog
der Ausstellung in der Stiftung Sammlung Emil G. Bührle, Zürich 1990, Nr. 15, Farbtaf. S. 33
16 wie Anm. 13, Abb.
S. 44
17 Vgl. Hansjakob
Diggelmann/Jeannot Simmen, Hans Brühlmann. Werkkatalog
(Schweizerisches Institut für
Kunstwissenschaft. Œuvrekataloge Schweizer Künstler
12/II), Basel u. München, 1985, Nr. 228, 229, 423–437
18 Lothar Kempter, Hans Brühlmann. Leben – Werk – Welt (Schweizerisches
Institut für Kunstwissenschaft. Œuvrekataloge
Schweizer Künstler 12/I), Basel u. München 1985, S. 50
19 Wie Anm. 17,
Kat.-Nr. 722–742
20 Um in dieser
Gattung Sicherheit zu erlangen, besuchte Burgmeier 1906 die Münchner
Privatschule des Porträtisten Heinrich Knirr
(1862–1944)